Bessere Behandlung durch bessere Kommunikation
Pflegekräfte sind rar, die Sprachkenntnisse von Nicht-Muttersprachler*innen oft nicht ausreichend, die Abbruchquote hoch. Ihre Integration in den Klinikalltag will das Startup casuu durch maßgeschneiderte, praxisnahe und KI-basierte Trainingsprogramme fördern. Die IFB Innovationsstarter unterstützen das Vorhaben mit ihrem InnoFounder-Programm.
Zu wissen, wie man in der Bäckerei auf Deutsch seine Brötchen bestellt, ist eine praktische Fähigkeit, für internationale Pflegekräfte, allerdings gibt es wichtigere. Zum Beispiel zu verstehen, dass mit „DM2“ auf dem Übergabezettel Diabetes Mellitus vom Typ 2 gemeint ist. Und dass ein beiläufiges „dem müssen wir auf die Füße gucken“ in der Übergabe wichtig ist: Hautinfektionen können für diese Patient*innen lebensbedrohlich sein.

Pflegekräfte, die nach Deutschland kommen, absolvieren neben allgemeinen Sprachkursen auch berufspezifische. „Doch die sind relativ weit weg von der Praxis“, sagt Dr. med. Rüdiger Schmitz, Co-Gründer von casuu. Auf jeder Station im Krankenhaus wird ein anderer Jargon gesprochen. Ist mit dem Kürzel „TK“ nun Thrombozytenkonzentrat oder Trachealkanüle gemeint? „Das kann ein Sprachkurs gar nicht abbilden“, meint der Internist.
Die Lösung des mehrfach ausgezeichneten Startups sind kundenspezifische Trainingsprogramme und eine KI, die die Menschen schon in ihrem Herkunftsland für den Klinikalltag in Deutschland befähigen soll. Mit virtuellen Patient*innen, Kolleg*innen, Angehörigen und Kursen mit echten Fällen, Abläufen und Dokumenten sollen sie ins aktive Sprechen kommen und die Berufssprache erlernen. Ergänzt werden kann dies durch eine menschliche Begleitung durch erfahrene Berufskräfte.
Stellt etwa die Stationsleitung fest, dass die Pflegekraft nicht verstanden hat, was mit DM2 verbunden ist, kann sie mit wenigen Klicks und KI-basiert entsprechende Hörverstehensübungen oder Fallsimulationen in dem Programm generieren lassen. Kern des Konzeptes ist es, die neuen Kolleg*innen „ins aktive Sprechen zu bringen“, wie der Mediziner sagt. „Der Smalltalk mit Patienten ist superwichtig. Er liefert oft entscheidende Informationen zum Beispiel zur Versorgungssituation und verbessert die Behandlungserfolge.“
„Wir denken von der Klinik aus: Wir wollen sie in die Lage versetzen, ihre Leute optimal zu integrieren“, sagt Schmitz, der weiß, wovon er spricht. Am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) hat er in der inneren Medizin gearbeitet, dort entstand aus persönlicher Erfahrung heraus auch die Idee zur Gründung von casuu. Zudem ist er mathematischer Physiker und hat am UKE eine Forschungsgruppe zu KI in der Medizin aufgebaut. Einige der Programmierungen für das Startup macht er einfach selbst.
Seit November 2024 wird casuu im Rahmen des Programms InnoFounder von der Hamburgischen Investitions- und Förderbank über ihr Tochterunternehmen, die IFB Innovationsstarter GmbH gefördert. Das Programm unterstützt digitale Gründungsvorhaben etwa aus dem Medien- und Content-Bereich. Über einen Zeitraum von bis zu 18 Monaten können drei Personen aus dem Gründungsteam einen nicht rückzahlbaren Zuschuss von 2.500 Euro pro Monat erhalten, maximal 75.000 Euro. „Wir wollen uns Zeit nehmen, unser Produkt mit den Kunden weiterzuentwickeln. Das wäre ohne die Förderung nicht möglich gewesen“, betont Schmitz.
Erste Kunden wie das Evangelische Krankenhaus Alsterdorf, das Städtische Krankenhaus Kiel oder die Waldklinik Jesteburg arbeiten mit casuu. Weitere sollen folgen. Den Nutzen des Trainings belegt eine Studie: Danach war bei einer Fachsprachenprüfung die Durchfallquote der casuu-Anwender*innen um gut die Hälfte geringer als bei denjenigen, die nur mit konventionellen Berufssprachkursen in die Prüfung gingen.